Zukunftsthemen mit kommunalem Bezug

Kommunale Flüchtlingspolitik

Die Forderung nach mehr Kompetenzen für die Kommunen ist bereits Gegenstand der Vereinigung “Seebrücke”, die sich für eine solidarische und menschenrechtsbasierte Migrationspolitik einsetzt.Derzeit bestehen die Organisation aus mehr als 180 lokalen Seebrücke-Gruppen, die mit Protesten und Aktionen auf die unhaltbaren Zustände an Europas Außengrenzen aufmerksam machen.

Im Fokus standen und stehen dabei auch die Kommunen. Indem Städte, Landkreise und Gemeinden selbst Verantwortung in der Asylpolitik übernehmen, können sie zeigen, dass eine solidarische und menschenrechtsbasierte Politik auch praktisch möglich ist.

Auf der Homepage heißt es weiter: “Grundlegende Entscheidungen der Asyl- und Migrationspolitik gehörten bislang nicht zu den klassischen kommunalen Aufgaben. Sowohl die Vergabe von Visa und Aufenthaltstiteln als auch die Kontrolle darüber, wer welche Grenzen übertreten kann, sind eng an die Vorstellung von staatlicher Macht gekoppelt und obliegen der nationalstaatlichen Hoheit. Aber wenn die Europäische Union, die Bundesregierung oder andere Regierungen nicht bereit oder in der Lage sind, das Sterben im Mittelmeer zu verhindern oder die Situation in den menschenunwürdigen Lagern an den europäischen Außengrenzen zu beenden, müssen eben Kommunen und Zivilgesellschaft ihre Solidarität mit Menschen auf der Flucht zum Ausdruck bringen. Auf kommunaler und regionaler Ebene zeigt sich immer deutlicher eine Gegenbewegung, die sichere Fluchtwege fordert, die Aufnahme von geflüchteten Menschen anbietet und mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen will. Das Engagement geht dabei von Städten oder Kommunen aus, die sich vielerorts in Europa mit zivilgesellschaftlichen Gruppen vernetzen, um gemeinsam alternative politische Lösungsansätze zu entwickeln. Kommunen wollen dort Verantwortung übernehmen, wo sie von der EU oder ihrem jeweiligen Nationalstaat keine Lösungen mehr erwarten und angesichts humanitärer Katastrophen, wie dem Sterben auf dem Mittelmeer nicht tatenlos bleiben wollen. Asyl- und Migrationspolitik ist eben doch eine zentrale kommunale Aufgabe und kann auf kommunaler Ebene auch besser eingeschätzt werden: Die tatsächliche Aufnahme von geflüchteten Menschen, ihre Versorgung, Zugang zu eigenem Wohnraum, Einbindung durch Bildung, Arbeit, soziale und kulturelle Teilhabe erfolgt schließlich in den Kommunen. Wer könnte also besser beurteilen, dass Aufnahmekapazitäten und Bereitschaft vorhanden sind? Das haben auch immer mehr Kommunen erkannt: Seit Sommer 2018 sind über 250 Kommunen in Deutschland zu „Sicheren Häfen” geworden und haben ihre Bereitschaft erklärt, weitere Schutzsuchende aufzunehmen – und zwar zusätzlich zu jenen, die ihnen laut Verteilungsschlüssel ohnehin schon zugewiesen werden. Gemeinsam mit uns und vielen weiteren zivilgesellschaftlichen Akteuren üben sie nun als Sichere Häfen Druck auf die Bundesregierung aus, um einen Wandel der europäischen Asyl- und Migrationspolitik zu erwirken. Als „Sichere Häfen“ sind die Kommunen mehr denn je als Akteure der Asyl- und Aufnahmepolitik in Erscheinung getreten. Auch wenn die Positionierungen unterschiedlich weit gehen, zeigen die kommunalen Beschlüsse, dass immer mehr Städte, Gemeinden und Landkreise auch eine lokale Verantwortung für eine solidarische Migrationspolitik anerkennen und die unhaltbaren Zustände an den europäischen Außengrenzen nicht mehr hinnehmen wollen. Die kommunale Bereitschaft beschränkt sich dabei keineswegs allein auf Deutschland: In ganz Europa – von Palermo über Neapel bis nach Barcelona – erklären Bürgermeister*innen ihre Kommunen zu solidarischen Städten für geflüchtete Menschen und organisieren sich in Bündnissen. Wir alle sind die Seebrücke!”

Da die Flüchtlingspolitik bereits von Populisten und Putin als Achillesferse der Demokratien missbraucht wird und zu einem permanenten Dissens zwischen den Ländern der Europäischen Union führt, sollte sich die Schule der Demokratie auch mit diesem Thema beschäftigen. Denkbar wäre die Forderung nach paritätisch besetzten Flüchtlingsräten, die parallel zu den Kommunalwahlen gewählt und mit weitreichenden Rechten wie der Erteilung von Visa, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen für ihr Territorium ausgestattet werden. Eine Aufweichung des Asylrechts oder der Genfer Menschenrechtskonvention darf damit natürlich nicht verbunden sein.

In der Tradition von Städtepartnerschaften können gemeinsam mit Menschen, die in ihrer Heimat aufgrund von Armut oder politischer Verfolgung keinen Einfluss erreichen können, Fluchtursachen bekämpft werden. Das Leben des Subsidiaritätsprinzips in der Flüchtlingspolitik könnte zu mehr Solidarität führen, weil den Bürgern das Gefühl genommen würde, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird, wer bei ihnen leben darf und wer nicht. Dies setzt allerdings voraus, dass sich ein Flüchtlingsrat nicht konstituiert, wenn es keine ausreichende Wahlbeteiligung gibt.

Kommunale Naturschutz- und Klimaschutzpolitik

Die Möglichkeiten, auf kommunaler Ebene Naturschutz- und Klimapolitik zu betreiben, sind vielfältig. Es würde den Rahmen dieser Schrift sprengen, hier im Einzelnen darzustellen, was Kommunen technisch oder durch verändertes Verbraucherverhalten an Energie einsparen oder wie sie mit ihrem Satzungsrecht Bürgerinnen und Bürger zum gemeinsamen Handeln bewegen können. Die Ideen sind alle da, oft fehlt es nur an mutigen Entscheidungsträgern, die sie konsequent umsetzen wollen. Es wird die Aufgabe der jungen Ratsmitglieder in Zusammenarbeit mit der Schule der Demokratie sein, aus der Fülle der Möglichkeiten das richtige Projekt für ihre Wahlperiode und ihre Stadt zu finden.

Immer wieder werden einzelne Kommunen und ihre Stadtwerke für ihre fortschrittliche Energiepolitik gelobt. Ich denke da zum Beispiel an Fuchstal, Schönau oder Tübingen. Das war sogar den Tagesthemen vom 29.07.2022 eine Meldung wert: „Fuchstal, mehr Unabhängigkeit von Energiepreisen mit Wind, Sonne und Biomasse“. Es ist also bereits unter den gegebenen Umständen möglich, effektiven Klimaschutz auf kommunaler Ebene zu betreiben. Wir müssen uns fragen, warum nicht schon längst in allen Kommunen eine fortschrittliche Klimapolitik betrieben wird.

Vielen Klimaaktivisten ist diese Frage zu klein. Sie gehen davon aus, dass Klimaschutz in einem kapitalistischen System nicht möglich ist, weil der Kapitalismus Wachstum braucht und ein klimaneutrales Wachstum nicht denkbar ist. Sie stützen sich dabei z.B. auf das jüngste Buch von Ulrike Herrmann “Das Ende des Kapitalismus”. Frau Herrmann unterstellt, dass erneuerbare Energien immer knapp sein werden. Wer glaubt, dass allein durch technischen Fortschritt ohne Konsumverzicht die Klimaziele noch erreicht werden können, kann bei Maja Göpel in ihrem Buch “Unsere Welt neu denken” nachlesen, dass dies zumindest in der Vergangenheit wegen des Rebound-Effekts nicht funktioniert hat. Demnach führen Effizienzsteigerungen, also mehr Leistung mit weniger Energie, oft nicht zu weniger Verbrauch. Effizienzsteigerungen können z.B. zu einer Verbilligung von Produkten führen, so dass diese zu Massenprodukten werden und die Klimabilanz dann richtig in den Keller geht.

Am Ende dieser Diskussionen steht nicht selten die Erkenntnis, dass wir uns eher den Untergang der Menschheit als die Überwindung des Kapitalismus vorstellen können. Der Kapitalismus hat inzwischen alle Lebensbereiche durchdrungen, ist allgegenwärtig und unüberwindbar. Die durch den Kapitalismus verursachte ungerechte Verteilung der Wirtschaftsgüter führe dazu, dass ein demokratisches System eine wirtschaftliche Stagnation auf Dauer nicht überleben könne. Daraus wird gerne der Schluss gezogen, dass Klimaschutz in einer Demokratie nicht möglich sei.

Vielleicht ist es so, vielleicht auch nicht. Wenn ich mich zwischen Demokratie und Klimaschutz entscheiden muss, dann entscheide ich mich für die Demokratie, denn eine undemokratische Menschheit kann mir gestohlen bleiben. Ich bezweifle, dass die negativen Auswirkungen des Kapitalismus unüberwindbar sind.

Den Aktivisten, die nicht kämpfen wollen, wenn nicht zumindest eine weltweite Überwindung des Kapitalismus möglich ist, möchte ich sagen, dass der größte Feind des Kapitalismus die natürlichen Monopole sind. Wo sie herrschen, gibt es keinen Wettbewerb und keinen freien Markt. In der gesamten Versorgungswirtschaft, von Wasser, Wärme, Strom bis hin zur Telekommunikation, gibt es ein natürliches Monopol der Kommunen, denn sie entscheiden, wer die Leitungen in ihren Bürgersteigen verlegen darf. Etwa alle 20 Jahre vergeben die Kommunen die Konzessionen, also das Nutzungsrecht für den Boden unter den Bürgersteigen. Dann entscheidet sich, ob der Einstieg in eine dezentrale, demokratisch kontrollierte und sozial gestaltete Versorgung gelingt oder ob es bei der zentralen, profitorientierten Versorgung durch wenige Oligarchen bleibt. Wer sich mit RWE und Co. anlegen will, hat hier Chancen.

Ich gebe auch zu bedenken, dass eine Dezentralisierung der politischen Macht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Begrenzung des Wachstums führen wird, weil wir alle im Grunde unseres Herzens Freunde des Sankt-Florians-Prinzips sind. Der Verhaltensökonom Armin Falk von der Universität Bonn schlug einen neuen kategorischen Imperativ in Zeiten des Klimawandels vor: Konsumiere so, wie du es von anderen erwartest. Der Imperativ am Ende der Befriedigung der materiellen Grundbedürfnisse könnte auch lauten: Erwarte keine Umweltzerstörung, die du selbst nicht vor deiner Haustür haben willst. Vielleicht gibt es hier eine politische Grenze des Wachstums, bevor wir mit katastrophalen Folgen an die physischen Grenzen des Wachstums stoßen.

Durch meine Heimatstadt führen zwei Autobahnen und zwei Eisenbahnlinien. Derzeit plant der FDP-Verkehrsminister der Ampelkoalition den Ausbau der A2 und den Neubau einer ICE-Trasse zwischen Köln und Berlin. Die genaue Trassenführung steht noch nicht fest. Bedingung ist aber, dass die Verbindung zwischen Bielefeld und Hannover in 31 Minuten möglich ist. In 31 Minuten, nicht in 32 oder 33. Die Bahn ist immer pünktlich, und sie konkurriert mit den Inlandsflügen. Das sind die Parameter, nach denen entschieden wird, wie die Landschaft im Durchfahrland auf links gezogen  wird. Ich hätte mir gewünscht, dass in der Ampelkoalition 2022 ein FDP-Politiker  Außenminister und ein Grüner Verkehrsminister geworden wäre. Aber das ist nicht passiert.  Jetzt kommt das neue Deutschland-Tempo ohne lästige Umweltverträglichkeitsprüfungen. Warten wir es ab. Ich erinnere mich an die Sätze von Robert Menasse: “Heimat ist Region. Nation ist Fiktion”. Ich habe keine Lust mehr, mir meine Heimat von Fiktionalen zerstören zu lassen, oder um es in der Sprache der Planer auszudrücken: Es ist mit erheblichem Raumwiderstand  zu rechnen.

Bedingungsloses Grundeinkommen

“Die Idee des Grundeinkommens ist, dass alle Menschen eines Landes von Geburt an lebenslang jeden Monat so viel Geld vom Staat bekommen, wie sie zum Leben brauchen. Einfach so, als Grundrecht. Ohne dass sie dafür etwas tun müssen. Ohne dass es ihnen wieder weggenommen werden kann”, erklärt die Initiative “Pilotprojekt Grundeinkommen” auf ihrer Homepage. In dem Projekt erhalten 122 Menschen 3 Jahre lang 1.200 € monatlich. Sie füllen insgesamt 7 Fragebögen aus – ebenso wie die 1.380 Personen der Vergleichsgruppe, die kein Geld erhalten. Ziel ist es, die Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens auf die Gesellschaft zu untersuchen.

Man mag von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens halten, was man will. Ich teile die Befürchtung, dass unser an Lohnarbeit gekoppeltes soziales Sicherungssystem auf Dauer nicht tragfähig ist. Ich bezweifle aber, dass das oben beschriebene Pilotprojekt tatsächlich empirische Aussagen über die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft liefern kann. Jemand, dem ein lebenslanges Grundeinkommen versprochen wird, verhält sich anders als jemand, der 3 Jahre lang monatlich 1200 € erhält.

Einen kommunalpolitischen Bezug könnten die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens über ein Pilotprojekt bekommen, in dem den Einwohnern einer Gemeinde oder eines bestimmten Stadtteils eine lebenslange bedingungslose Daseinsvorsorge zugesichert wird.

Kommunale Bildungspolitik

Der Schriftsteller und Honorarprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg, Richard David Precht, fordert seit langem, dass unser Bildungssystem nicht reformiert, sondern revolutioniert werden muss. Precht weist darauf hin, dass das Grundmodell, nach dem unsere Schulen funktionieren, über 100 Jahre alt ist. Es stammt aus der Zeit des Wilhelminismus, also aus dem preußischen Kaiserreich. Damals hatten die Schulen die Funktion, angepasste Untertanen hervorzubringen, die man als Facharbeiter gebrauchen konnte. Deshalb haben wir Jahrgangsklassen, deshalb haben wir den 45-Minuten-Takt, deshalb haben wir Ziffernnoten – das ist alles zu diesem Zweck eingeführt worden (https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-schulen-sollten-die-macht-haben-100.html.). 

Der Journalist und Erziehungswissenschaftler Reinhard Kahl beklagt die enorme Ineffizienz dieser Schulen. Die Begeisterungsfähigkeit der Schüler nehme von der ersten bis zur letzten Klasse extrem ab. Kahl spricht von Bulimie-Lernen, wie es an vielen deutschen Schulen üblich sei: schnell viel reinschaufeln, dann schnell wieder ausspucken. Nach kurzer Zeit ist das meiste wieder vergessen: “Wir haben in Deutschland mehr als anderswo die Tradition, Kinder in der Schule zu belehren, zu demütigen und zu beschämen. Das richtige Wissen wird von oben nach unten verordnet, steht in Lehrplänen und Schulbüchern und muss angewendet werden. Das fördert eine Mentalität des Ausführens. Solche gedemütigten Menschen wurden früher im Bergbau oder am Fließband gebraucht. Die Gesellschaft und die Arbeitswelt brauchen aber Menschen, die selbst denken, Probleme lösen und eigene Ideen haben. Leider wird die Schule immer noch von dieser Maschinengrammatik beherrscht” ( https://taz.de/Reinhard-Kahl/!5194586/)

Die Schnittmenge zwischen den Schulerneuerern und der Idee der Schule der Demokratie liegt in der gemeinsamen Forderung nach einer echten Kommunalisierung der politischen Verwaltungsmacht. Precht fordert, den Kultusministern wichtige Kompetenzen zu entziehen und sie den Kommunen bzw. den Schulen und Schulleitern zu übertragen. Kahl verlangt mehr Vertrauen von oben.

Jede Stadt hat auch einen Schulausschuss. Gerade junge Menschen (U25) könnten hier aufgrund der zeitlichen Nähe ihrer Schulzeit zu authentischen Experten in diesem Bereich heranwachsen. Vielleicht lässt sich hier die Idee von Precht, zur Umgestaltung der Schulen Schul-Scouts auszubilden, in Zusammenarbeit mit einer Universität in die Realität umsetzen.

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