Hoffnung und fff

Je älter man wird, desto weniger freut man sich über Veränderungen. Ich persönlich brauche auch keine politischen Veränderungen mehr. Ich gehe davon aus, dass ich auch ohne sie im Alter weder verarmen noch in einem Massengrab enden werde. Vor allem habe ich kein Interesse an einer Klimapolitik, die das demokratische Miteinander in der Gesellschaft gefährdet. Wenn die Älteren mit den Jüngeren solidarisch werden sollen, dann ist die Grundvoraussetzung, dass sich die Jüngeren zum demokratischen System bekennen und um Mehrheiten ringen.

Auch wenn klar ist, dass wir in Zukunft vieles anders machen müssen, wenn es eine Zukunft geben soll, so gilt doch der Grundsatz, dass nicht der Status quo, sondern die Veränderung sich erklären muss.

Als ich 2018 die vielen jungen Klimaaktivisten von den Schulhöfen vor die Rathäuser ziehen sah, wähnte ich mich schon fast am Ziel. Darauf hatte ich gewartet. Jetzt sollte es nicht mehr schwer sein, mit den jungen Leuten ins Gespräch zu kommen. Wenn sie schon vor dem Rathaus stehen, würde ich bestimmt auch eine Handvoll von ihnen ins Rathaus bekommen. Bei meinen ersten Besuchen der FFF-Veranstaltungen im Dezember 2018 habe ich viele sehr junge Schüler getroffen. Ihre Motivation war gut. Sie waren überzeugt, dass sie den Erwachsenen nur klar sagen müssten, dass jetzt Schluss sein müsse mit dem Ausstoß von Treibhausgasen, dann würde alles gut. Von Freitag zu Freitag wurden es mehr. 

Trotzdem war es schwierig, ins Gespräch zu kommen. Zu groß war die Angst, vor einen fremden Karren gespannt zu werden oder die Kernbotschaft „Klimaschutz“ zu verwässern. Außerdem einte sie der Groll auf die Erwachsenen, die alten weißen Männer, die ihnen die Zukunft stehlen und mit ihnen nicht über die Pariser Klimaziele, sondern über ihre Schulpflicht diskutieren wollen. Ich bin einer dieser alten Männer, die nicht nur über das Klima reden wollen, sondern auch über Demokratie und Strategie. “Wir streiken, bis ihr handelt”, lautete ihr Motto. Und wenn keiner handelt und ihnen langsam die Luft ausgeht? Das wollten sie von mir natürlich nicht hören. Ich gehörte mit meinen 53 Jahren nicht dazu.

Dann hatte ich das große Glück, im Februar 2019 zur ersten Power-On-Konferenz der BUND-Jugend nach Berlin eingeladen zu werden. Dort traf ich auf die Leute aus Kempten, die nicht darauf warten wollten, dass andere für sie handeln. Ich änderte meine Strategie und bot den Klimaaktivisten Workshops zum Thema “Kommunale Klimapolitik” an.

In diesem Zusammenhang wurde eine Zusammenarbeit mit der FFF-Gruppe aus Krefeld vereinbart. Die Gruppe erreichte, dass die Telefonkonferenz als höchstes Entscheidungsgremium von FFF am Ostermontag 2019 offiziell beschloss, dass eine Zusammenarbeit mit JURATS sinnvoll ist. In Krefeld gelang es zwar nicht, wie in Kempten, eine eigene Wahlliste aufzustellen, aber immerhin kandidierten zwei Mitglieder der Gruppe auf hinteren Listenplätzen der Grünen für den Stadtrat.

Trotz des Beschlusses in der Telefonkonferenz wurden wir zum FFF-Sommercamp 2019 in Dortmund ausgeladen. Eingeladen war aber unter anderem Tadzio Müller, Aktivist der Klimagerechtigkeitsbewegung, damals noch Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er durfte mit den Aktiven diskutieren, wer Teil der Klimabewegung ist und was die richtigen Mittel sind, um die Klimakrise zu stoppen. 

In einem Interview mit der TAZ vom 21.08.2021 plädiert er für eine Radikalisierung der Klimabewegung. Auf die Frage, ob Sabotage durch eine überlagernde Diskussion über Klimaterrorismus der Sache nicht schade, antwortete er: “Natürlich besteht die Gefahr. Deshalb würde ich solche Aktionen auch nie vor Wahlen machen! Aber wie gesagt, die Debatte ist da, sie entsteht organisch aus der Bewegung heraus. Deshalb müssen wir sie führen, aushalten und gewinnen. Deshalb ist es so wichtig, Begriffe wie friedliche Sabotage oder legitime Selbstverteidigung einzuführen. Damit diejenigen, die so etwas planen, sich nicht von der Bewegung abgekoppelt fühlen”.

Im Spiegel-Interview vom 21.11.2021 prognostiziert Müller: “Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF. Die Klimaproteste müssten aus Notwehr militant werden, wenn sie wirkungslos blieben. In der Klimakrise könne sich die Bewegung zwischen Irrelevanz und Militanz entscheiden, so der führende Aktivist. 

Als die Berliner Polizei im November 2022 Strafanzeige gegen zwei Aktivisten stellte, weil sie vermutete, dass eine Straßenblockade der Gruppe „Letzte Generation“ einen Rettungseinsatz verzögert habe, so dass eine Radfahrerin bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, twitterte Müller: “Scheiße, aber: nicht einschüchtern lassen. Es ist Klimakampf, nicht Klimakuscheln, & shit happens“.

Auch wenn sich Müller später für den Tweet entschuldigte, ist klar, wohin die Reise geht: Allein der Zweck, auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, rechtfertigt die Inkaufnahme von Toten. Irgendwann wird die friedliche Sabotage, gewollt oder ungewollt, zu Gewalt und/oder Gegengewalt führen.

Ich kann gut verstehen, warum sich einige der jungen Aktivisten von der parlamentarischen Demokratie abwenden. Noch nicht einmal ein Tempolimit bringt sie zustande. Ein grüner Bundeswirtschaftsminister hat Angst, der Bevölkerung erklären zu müssen, dass die fetten Jahre aus ökologischen Gründen ohnehin vorbei sind. Er reist lieber nach Saudi-Arabien, um dort Flüssiggas einzukaufen, als Russland im Sommer 2022 kriegsbedingt als Gaslieferant ausfällt.

Wenn ich junge Klimaaktivisten frage, ob sie noch Hoffnung haben, bekomme ich nicht selten zu hören, dass das egal sei. Mit der Physik könne man keine Kompromisse machen. Für einen demokratischen Diskurs sei keine Zeit mehr. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie gar nicht wissen, wie wichtig Hoffnung ist. Der Satz “Die Hoffnung stirbt zuletzt” sagt nichts anderes, als dass, wer keine Hoffnung mehr hat, politisch tot ist. Wer ohne Hoffnung kämpft, handelt entweder nach dem Rüssmannschen Motto: “Wenn wir hier schon nicht gewinnen können, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt”. Oder er handelt, um sein Gewissen zu beruhigen, weil er später nicht zu denen gehören will, die trotz der drohenden Katastrophe geschwiegen haben. Manche nehmen sich die Geschwister Scholl zum Vorbild und verkennen dabei, dass wir (noch) nicht in faschistischen Verhältnissen, sondern immer noch in einer Demokratie leben. Sie wollen die politischen Möglichkeiten einer Demokratie nicht mehr nutzen. Ihr Kampf ist nicht konstruktiv. Die Physik belohnt weder Märtyrertum noch Rechthaberei.

Die Leute der letzten Generation sind für mich keine Hoffnungsträger. Sie übersehen, dass der demokratische Weg der einzig gangbare ist, weil er der schnellste ist. Wenn wir den demokratischen Weg in Frage stellen, werden wir unglaublich viel Zeit damit vergeuden, uns über alternative Herrschaftsformen die Köpfe einzuschlagen, so dass für den Klimaschutz überhaupt keine Zeit mehr bleibt.

Außerdem ist eine nicht demokratisch organisierte Menschenwelt es nicht wert, gerettet zu werden. Und nur darum geht es. Der Mensch wird die Erde nicht zerstören, er wird sich nur selbst ausrotten.

Die “letzte Generation” spaltet die Gesellschaft. Warum bezeichnen sich die Aktivisten als die letzte Generation? Wenn die Behauptung stimmt, dass sich mit dem Ende der jetzigen Legislaturperiode auch das Zeitfenster für Maßnahmen zur Abwendung der Klimakrise schließt, dann sind wir alle, die wir jetzt leben, die letzten Generationen, die noch handeln können. Dann gibt es nicht die eine letzte Generation. Haben sich diejenigen, die diese These vertreten, schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie demotivierend sich diese Prognose auf zukünftige Generationen auswirken kann? 

Die Behauptung “Irrelevanz oder Militanz” ist Unsinn, aber trotzdem sehr gefährlich für unsere Demokratie und für das Klima. Die große Relevanz von FFF ist bereits da. Die Fridays haben die Europawahl und die letzte Bundestagswahl zu Klimawahlen gemacht und die erwarteten Erfolge der Rechtspopulisten vorerst verhindert. Fast die ganze Gesellschaft glaubt den Klimaleugnern nicht mehr. Eine unglaubliche Leistung, die alles andere als unbedeutend ist und weit in die Zukunft strahlt.

Für mich werden Klimaaktivisten zu Hoffnungsträgern, wenn sie sich von der Vorstellung verabschieden, dass ihnen nur die politischen Mittel der Generationen zur Verfügung stehen, denen sie zu Recht Versagen vorwerfen. Auch ich habe Konsumverzicht gepredigt, ich habe vor dem Munitionsdepot in Liebenau blockiert, ich war vor dem Zwischenlager in Brockdorf und mehrmals an der Baustelle in Wackersdorf. Wenn Müller oder XR sagen, dass nur ziviler Ungehorsam hilft, dann stimmt das nicht, sondern nur ein Ausdruck von Phantasielosigkeit.

Viele Klimaaktivisten scheuen auch ein Engagement, das über den Protest auf der Straße hinausgeht, weil sie nicht für konkrete Vorschläge zur Abwendung der Klimakrise verantwortlich gemacht werden wollen. Sie bevorzugen eine klare Arbeitsteilung: Wir protestieren, die Politik liefert. Das ist ihr gutes Recht. Aber mit dieser Arbeitsteilung verbreiten sie keine Aufbruchstimmung. Viele vor ihnen haben als Jugendliche demonstriert und irgendwann zählten nur noch Karriere und Familie.

Mit der Gründung der Schule der Demokratie könnten die Fridays auch ohne Partei und ohne eigene Lösungsvorschläge Teil unserer demokratischen Institutionen werden, weil dieses Konzept gerade junge Menschen einlädt, die nicht von sich behaupten, sie würden kandidieren, weil sie wüssten, wo es lang geht.

Mit der Übernahme der  Aufgabe, den politischen Nachwuchs auf kommunaler Ebene zu fördern, könnten sie in Konkurrenz zu allen Parteien treten und so ihre parteipolitische Unabhängigkeit bewahren und thematischen Druck ausüben.

Damit eine Forderung Wirklichkeit wird, ist es sehr wichtig, dass sie von den richtigen Personen erhoben wird. Die Fordernden müssen authentisch sein. Die Forderung nach einer enkeltauglichen Politik ist erst dann wirklich eingeschlagen, als die Enkel dafür auf die Straße gegangen sind. Aber auch die Enkel werden älter. Die Leute von FFF haben die Chance, das zu erkennen, bevor sie bedeutungslos werden.  Sie könnten mit der Schule der Demokratie Strukturen schaffen, damit die Jugend eine dauerhafte und demokratisch legitimierte Stimme bekommt.

Wie in den Generationen vor den heutigen Klimaschützern interessiert sich auch heute nur ein Bruchteil der Jugendlichen für politische Forderungen. Wenn die jungen Aktivisten nur das nachmachen, was die 68er schon versucht haben, werden ihnen auch spätere Generationen zu Recht politisches Versagen vorwerfen. 

Mit der Schule der Demokratie könnte die FFF neue Wege gehen. Statt die Grünen zu spalten, könnten sie auf kommunaler Ebene sehr schnell  eine gut strukturierte Organisation aufbauen, die das Potential hätte, eine Spaltung zu organisieren, wenn die Grünen ihr Versprechen einer enkeltauglichen Politik nicht einlösen.

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