Die ersten Schritte liegen so nah

Diese Beiträge richten sich an Aktivisten. An manchen Stellen lesen sie sich vielleicht wie ein Kochbuch. Das ist Absicht. Was müssen wir hinzufügen, was können wir weglassen, was ist nicht im Kühlschrank? Es ist eine Diskussion über einzelne Schritte.  Gehen, nachdenken, weitergehen statt aufstehen, eine Welt ohne Kapitalismus vordenken, sich wieder hinlegen.

Bevor ich also über die guten Argumente für eine Demokratisierung unserer Demokratie schreibe, möchte ich kurz darlegen, wie einfach der Anfang sein könnte. Das Etappenziel heißt: Gründung einer Schule der Demokratie. Das Einzige, was wir dafür zunächst brauchen, sind wissbegierige Schülerinnen und Schüler.

Man nehme eine Handvoll junger Menschen, die politisch aktiv sind oder es werden wollen und überzeuge sie davon, dass unsere repräsentative Demokratie eine gute Sache ist, die aber neu erzählt werden muss, wenn wir sie nicht verlieren wollen. Meine Erfahrung ist, dass es viele junge Aktivisten gibt, die an die Demokratie glauben wollen, die aber auch sehen, dass unsere Demokratie derzeit Teil eines ausbeuterischen Systems ist, dessen ständige Reproduktion der Menschheit die Lebensgrundlage kosten wird. Deshalb ist das Bekenntnis zur Demokratie, insbesondere zur repräsentativen Demokratie, für viele keine Selbstverständlichkeit mehr. Es ist wichtig, junge Menschen davon zu überzeugen, dass die Idee von der Schule der Demokratie das Potenzial hat, die Demokratie strukturell zu verbessern.

Wenn dies gelungen ist und die Jugendlichen erkennen, dass sie der wichtigste Teil dieser Erzählung sind, lädt man sie ein, ihre eigenen Fehler zu machen und gründet mit ihnen eine kommunale Wählervereinigung. Bei der Gründungsversammlung wird eine Satzung verabschiedet. Die jungen Klimaschützer der Stadt Kempten haben sich im Jahr 2020 beispielsweise für folgende Präambel entschieden:

“Die Wählergruppe ist eine Vereinigung von Einwohner/innen der Stadt Kempten, deren Zweck es ist, aktiv durch Mitarbeit in der Gemeindevertretung an der Erfüllung kommunaler Aufgaben mitzuwirken und das Wohl der Einwohner/innen zu fördern. Insbesondere will die Wählergruppe parteiunabhängig die politische Teilhabe Jugendlicher (U-25) unterstützen, die sich für eine konsequentere Klimaschutzpolitik einsetzen und die Förderungen des politischen Nachwuchses durch Beachtung des Rotationsprinzips verfolgen. Die Wählergruppe übt ihre Tätigkeit auf der Grundlage der freiheitlich demokratischen Grundordnung aus. Die Wählergruppe kann sich ein Programm geben, das die näheren kommunalpolitischen Ziele für eine Wahlperiode festlegt.”

Wichtig für die Satzung sind zwei Dinge: Förderung des politischen Nachwuchses mit Kandidaten U25 und das Leben des Rotationsprinzips.

Dann geht man an die Öffentlichkeit und sucht Mitstreiter, um vor einer Kommunalwahl einen Wahlvorschlag aufzustellen und die nötigen Unterstützungsunterschriften zu sammeln. 

Spätestens wenn das gelungen ist, ist man lokal im Spiel und kann weder von der Presse noch von den politischen Parteien ignoriert werden. Jetzt ist es an der Zeit, selbstbewusst auf die Bürgermeisterkandidaten zuzugehen, die gleichzeitig mit den Stadtratsmitgliedern gewählt werden wollen, mit der Bitte:  “Lieber Bürgermeisterkandidat, wir haben keinen eigenen Bürgermeisterkandidaten, deshalb wollen wir den Kandidaten unterstützen, der bereit ist, die politische Nachwuchsförderung als eine seiner kommunalen Aufgaben zu akzeptieren. Wie willst Du das machen? Anbei: Herzliche Einladung zur Podiumsdiskussion”.

Die Kandidaten werden der Einladung folgen. Bürgermeisterkandidaten sind im Gegensatz zu ehrenamtlichen Stadträten Berufspolitiker. Oft müssen sie sich aufgrund knapper Mehrheitsverhältnisse Stichwahlen stellen. Sie wissen, dass die Wahlbeteiligung niedrig ist und jede Stimme zählt. Sie wissen auch, dass sie auf die Unterstützung einer Gruppe, die vorgibt, die Jugend zu vertreten, nicht verzichten können. Schon vor der Wahl werden die Bürgermeister versprechen, die Idee der Schule der Demokratie aktiv zu unterstützen.

Dann kommt der Wahlkampf. Wie dieser abläuft, hängt stark von den Persönlichkeiten der jungen Kandidaten ab. Meiner Meinung nach werden diejenigen Kandidaten die meisten Stimmen erhalten, die den Mut haben, ehrlich zuzugeben, dass sie keine Problemlösungen im Gepäck haben, sondern dass sie kandidieren, um zu lernen und ihre jugendliche Perspektive in die Diskussionen im Stadtrat und in den Ausschüssen einzubringen.

Das erfordert ein starkes Selbstbewusstsein, das Jugendliche in der Regel noch nicht haben. Hier ist der Zuspruch der Älteren gefragt: ”Du hast keine Ahnung? Woher auch? Du bekommst sie, wenn du mitarbeitest. Du musst es nicht allen recht machen. Uns reichen die Stimmen derer, die unser Konzept verstanden haben. Diese Wähler  erwarten, dass du Fehler machst. Man muss das Wasser nicht verstehen, um kopfüber hineinzuspringen (Freud). Man muss nur wissen, dass es tief genug ist. Und das haben wir für dich geprüft“.

Nach der Wahl kommt die regionale Vernetzung der gewählten Ratsmitglieder und der sie unterstützenden Bürgermeister. Das ist der Zeitpunkt, an dem viele lokale Ereignisse zu einem größeren politischen Ereignis werden: Die Gründung der Schule der Demokratie. Die gewählten Ratsmitglieder, die in den Institutionen der Schule allein stimmberechtigt sind, erklären sich bereit, einen Teil ihrer Sitzungsgelder und Aufwandsentschädigungen der Schule zur Verfügung zu stellen. Die ersten hauptamtlichen Stellen werden geschaffen. Von nun an lädt eine demokratisch legitimierte Stimme der Jugend nach jeder Kommunalwahl dazu ein, Brücken zu bauen und Vertrauen in die potentiellen Repräsentanten der Demokratie von morgen zu gewinnen. Es werden Projekte entwickelt und begleitet, die von den jungen Ratsmitgliedern vor Ort umgesetzt werden können. Von Vertretern der demokratisch gewählten Parteien über die der Gewerkschaften, Kirchen, Unternehmerverbände, Universitäten bis hin zu den der unterschiedlichsten NGOs, wie z.B. dem Bund der Steuerzahler, können von den gewählten Ratsmitgliedern eingeladen werden, um mit ihnen in einen praxisorientierten Dialog über nachhaltige Politik zu treten. Es geht darum, Gräben zu überwinden, zwischen Volk und Volksvertretern, zwischen Stadt und Land, zwischen bildungsfern und bildungsnah, zwischen Jung und Alt.

Die Schule ist auch ein Ort für Intellektuelle, die nicht in die erste Reihe der Politik wollen, obwohl sie dort gebraucht werden.  Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit. Die Schule könnte die spannenden Persönlichkeiten integrieren, die glauben, ihre starke Position nur als Einzelkämpfer halten zu können, weil sie die Fehler möglicher Mitstreiter fürchten, denn Fehler und der Prozess des Verzeihens derselben gehören in der Schule der Demokratie zum Programm. Es gibt eine Tradition, dass sich die Philosophen eines Landes um die Bildung des politischen Nachwuchses kümmern. Hier sollten wir anknüpfen.

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